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Vom Schlickschlitten zum Hochseekutter

Krabbenfischerei im Norden

Bild 1Die bunten Krabbenkutter an der Küste gehören für Einheimische und Touristen zum Norden wie Leuchttürme, Windmühlen und das Meer. Doch die Zahl der Schiffe in Niedersachsen ist laut Landwirtschaftsministerium rückläufig. Selten wagen junge Männer das Risiko, noch wie ihre Väter und Großväter auf Krabbenfang zu gehen. Sie müssen mit vielen neuen Vorschriften zurechtkommen, haben hohe Kosten für Schiffsdiesel und Personal. Außerdem werden ihre Fanggebiete durch die neuen Offshore-Windparks immer kleiner. Trotz dieser Widrigkeiten haben sich jetzt zwei junge Männer im Hafen von Neuharlingersiel dazu entschieden, die Krabbenfischerei fortzusetzen. Eine Tradition, die bis in die Römerzeit zurück reicht.

Bild 2Die Fischer an der Küste fangen ihre Krabben im Wattenmeer zwischen dem Festland und den Inseln. Ganz früher mit Schlickschlitten und Reusen – etwa ab 1870 mit Segelbooten und Schleppnetzen. Um 1910 hatten die ersten Kutter dann auch Motoren. Diese Art der Krabbenfischerei setzte sich nach dem 1. Weltkrieg dann flächendeckend durch, mit ihrer Blütezeit in den 60er und 70er Jahren. Seit einiger Zeit ist die Zahl der Kutter in Niedersachsen aber rückläufig. Während 2000 noch 134 Schiffe gemeldet waren, gibt es jetzt noch knapp 100.

Bild 3Auch im malerischen Hafen von Neuharlingersiel sind die Kutter und ihre Kapitäne in die Jahre gekommen. Lange sah es nicht danach aus, als ob sich das mal ändern könnte. Doch jetzt herrscht wieder Hoffnung. Zwei junge Männer haben sich selbständig gemacht. Sie heißen Thilo Reich und Hendrik Dirks und sind die jüngsten Kutterkapitäne im Hafen. Die beiden sorgen für den lange erhofften Generationswechsel. Beide haben sich für viel Geld einen eigenen Kutter gekauft und wollen damit nun Krabben fangen. Ihre Väter verlassen das Ruder und gehen nach einem arbeitsreichen Leben in den Ruhestand. Immer seltener kommt es vor, dass die Söhne der Krabbenfischer den Betrieb weiterführen. Zu unsicher sind die Zukunftsaussichten mit steigenden Kosten und zurückgehenden Fangmengen. Ihre Garnelen bringen Thilo und Hendrik zur örtlichen Genossenschaft, wo die Schalentiere nach Größen sortiert und für den Weitertransport nach Holland konserviert werden.

Bild 4Nahezu alle Krabben aus Niedersachsen werden von holländischen Großhändlern aufgekauft und zum Pulen nach Marokko gebracht. Dort sind die Lohnkosten niedriger – der weite Weg nach Afrika lohnt sich offenbar betriebswirtschaftlich. Das war bis Anfang der 90er Jahre noch anders. Damals brachten die Fischer ihren Fang nach Hause, wo die Frauen die Krabben auf dem Küchentisch pulten. Für viele Familien war das ein lohnender Nebenerwerb. Die Schälung der Krabben auf dem Küchentisch wurde dann zwar nicht direkt verboten, aber durch die Hygieneanforderungen nahezu unmöglich. Als 1987 die ersten Garnelen in Polen geschält wurden, war das der Beginn der Auslagerung in Länder mit niedrigerem Lohnniveau. 1991 eröffneten Niederländer die ersten Krabbenfabriken in Marokko. Die Niederländer waren aber nicht nur auf dem Gebiet der Vermarktung führend, sie hatten auch die größeren Schiffe. Damit konnten sie auch in deutschen Gewässern fischen und weit mehr Fänge anlanden als die Kutterfischer aus Ostfriesland. Bis heute ist das ein ewiges Ärgernis.

Bild 5Darum hat Hendrik auch einen größeren Kutter angeschafft, um mit den westlichen Nachbarn mithalten zu können. Sein Schiff heißt „Anna3“ und kommt aus Accumersiel. Bevor er damit in See sticht, muss der Kutter aber noch auf Vordermann gebracht werden. In Neuharlingersiel wird der Kutter auf die Helling gezogen. Die alte Schiffsschraube wurde überholt und muss neu montiert werden. Außerdem bekommt das Schiff noch eine frische Farbschicht und ein neues Schild. Erst wenn der alte Kutter fit ist, kann der junge Kapitän mit seinem Vater Fritz rausfahren. Der verkauft sein eigenes altes Holzschiff nach Norddeich – nach mehr als 40 Jahren auf See.

Bild 6Früher wurden fast alle Kutter auf der Bültjer-Werft in Ditzum gebaut. Mehr als 200 Stück. Der letzte Holzkutter wurde hier allerdings im Jahre 1990 ausgeliefert. Heute sind an der Küste fast nur noch Eisenschiffe im Einsatz. Einige alte Holzkutter wurden für die Touristen zu Ausstellungszwecken aufgearbeitet und liegen nur als Fotomotive in den Häfen. Außerdem machen die Fischer damit Werbung für ihren Beruf und nehmen Jugendgruppen und Schulklassen mit. In Neuharlingersiel kümmern sich Hafenmeister Manfred Göken und Fritz Dirks um die „Lulu Meinders“ – ein Holzkutter, der ebenfalls in Ditzum gebaut wurde.

Bild 7Während Hendrik in den Startlöchern für die erste Fangfahrt als hauptamtlicher Kapitän sitzt, kann Kumpel Thilo nur zugucken. Sein Kutter liegt noch in Büsum – noch hat er nicht alle notwendigen Papiere zusammen. Doch die Zeit drängt, damit er die guten Fangzeiten im Sommer und Herbst noch mitnehmen kann. Acht Jahre lang war er Decksmann bei seinem Stiefvater auf der „Polaris“. Doch dieser Kutter war ihm zu klein – Thilo möchte wie die Holländer auch außerhalb des flachen Wattenmeeres auf Krabbenfang gehen. Und dann ist der große Tag gekommen. Die „Anna Catharina“ ist fertig restauriert und fangbereit – das Schiff muss jetzt nur noch nach Ostfriesland überführt werden. Beim Einlaufen in den Hafen von Neuharlingersiel bereiten ihm einige andere Fischer, die Seenotretter und natürlich Kumpel Hendrik einen unvergesslichen Empfang. Die Krabbenfischerei in Neuharlingersiel hat wieder eine Zukunft.

Für die Dokumentation aus der Reihe „Unsere Geschichte“ haben wir im Sommer die beiden Jung-Fischer Thilo Reich und Hendrik Dirks mit der Kamera begleitet und historisches Filmmaterial aus dem NDR-Archiv verwendet.

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