Vom Anfang und Ende des Lebens
Arbeiten als Hebamme und Bestatterin
Ellen Matzdorf lebt in Oldenburg, ist Hebamme und gleichzeitig Bestatterin. Am Vormittag hört sie bei einer schwangeren Frau den Bauch ab – nachmittags sucht sie mit Hinterbliebenen eine Urne aus. Ein tägliches Leben zwischen Wiege und Bahre – wie bekommt sie das zusammen? Früher hat Ellen Matzdorf als Beleg-Hebamme im Krankenhaus gearbeitet und betrieb ein Geburtshaus – sie war bei mehr als 1 000 Geburten dabei. Eines Tages verstarb ein Baby kurz nach der Geburt – für die Hebamme ein wichtiger Punkt in ihrem Leben. Sie merkte, dass die jungen Eltern kämpfen mussten, um die Bestattung ihres Babys so zu gestalten, wie es sich für sie gut anfühlte. Das wollte sie in Zukunft anders machen – und machte eine Fortbildung zur Bestatterin.
Laetitia Lübcke aus Wiefelstede erwartet ihr zweites Kind. Sie ist froh, dass sie mit Ellen Matzdorf eine so erfahrene Geburtshelferin an ihrer Seite hat. Nach dem ersten Besuch der Hebamme bekommt sie einen besorgten Anruf ihrer Nachbarn. Die hatten den Bestattungswagen vor dem Haus gesehen. Diese Situationen kennt Ellen Matzdorf. Manche junge Mütter legen auch erschrocken auf, wenn sie sich mit „Stern Bestattungen“ am Telefon meldet. „Wenn ich es dann aber erkläre, ist es in Ordnung“, sagt die Hebamme. Für sie sei es im Übrigen kein großer Unterschied, ob sie als Hebamme oder Bestatterin im Einsatz sei. „Es ist die gleiche Energie, die Menschen brauchen Unterstützung, es sind wichtige Ereignisse im Leben“, sagt die 59jährige Oldenburgerin.
Im Jahr 2020 starben in Deutschland laut Statistischem Bundesamt etwa eine Million Menschen. Es gibt etwa 40 Millionen Erdgräber auf mehr als 32 000 Friedhöfen. Die Bestattungskultur hat sich hierzulande aber stark verändert. Das Verhältnis der Feuer- zur Erdbestattung beträgt deutschlandweit mittlerweile 70 zu 30. Private Trauerredner lösen Pastoren ab, statt Todesanzeigen gibt es immer häufiger Beileidsportale im Internet. Und auch die Rituale ändern sich: Zu Ellen Matzdorf kommen immer mehr Menschen, die es individueller haben wollen. Dann wird der Sarg bemalt, von innen mit Fotos und Erinnerungen ausgestattet, es wird auch gesungen und gelacht. Seit August hat Ellen Matzdorf eine Auszubildende: Lilly Mohring ist erst 17 Jahre alt – macht jetzt eine dreijährige Ausbildung zur Bestattungsfachkraft.
In Oldenburg arbeitet Lucia Loimayr-Wieland als Sargmalerin. Sie stammt aus Österreich und arbeitet in Oldenburg beim Ambulanten Hospizdienst. In ihrer freien Zeit findet sie ihre Entspannung im Gestalten der „Holz-Pyjamas“ – so werden die Särge in Österreich bezeichnet. Lucia Loimayr-Wieland arbeitet auch mit Ellen Matzdorf zusammen. Sie selbst hat ihren eigenen Sarg bereits gestaltet – er steht bei ihr im Wohnzimmer. Von außen hat sie mit bunten Farben der natürlichen Maserung des Holzes ein Gesicht gegeben. Im Innern des Sarges liegt ihr bereits ausgesuchtes Totenhemd und jede Menge Erinnerungen an ihre Kinder, Freunde und an ihren Mann, der Anfang des Jahres verstarb. Den Tod wieder mehr in die Mitte des Alltages rücken – das wollen Ellen Matzdorf und Lucia Loimayr-Wieland. Andere Länder machen es vor: In Afrika, Lateinamerika und Asien feiert man das Ende des Lebens, es ist bunt und fröhlich, die Menschen haben den Tod ins Leben integriert. Der traditionelle „Tag der Toten“ in Mexiko wird von den Gläubigen bunt geschminkt und verkleidet begangen. Und seit Beginn der Corona-Krise wird auch in Deutschland intensiver über Tod und Trauer geredet wird.
Ellen Matzdorf ist eines wichtig: „In der Zeit zwischen Tod und Bestattung kann man selbst dafür sorgen, sich besondere Erinnerungen zu verschaffen, die ein ganzes Leben lang halten müssen“, sagt die Bestatterin. Viel zu oft sei es so, dass der Verstorbene vom Krankenhaus aus direkt ins Bestattungsinstitut gebracht und dann begraben werde. Ellen Matzdorf sorgt dafür, dass sich das ändert. „Wenn die jungen Eltern möchten, dass ihr verstorbenes Kind noch nach Hause kommt und in die Wiege gelegt werden soll, dann mache ich das möglich“, sagt die Bestatterin. Vor 18 Jahren hat Ellen als Hebamme die Familie Conradi begleitet. Ihr Sohn Mathis starb kurz nach der Geburt. Mutter Sabine Conradi wollte nicht, dass ein Bestatter ihr vorgibt, was richtig und was falsch ist – darum machte sie es bei der Beerdigung alles so, wie sie es wollte. Es gab Luftballons, es wurde gesungen – keine Spur von dunkler Trauer in düsterer Stimmung. Für Ellen Matzdorf war das ein Schlüsselerlebnis. So stellte auch sie sich einen Abschied vor – ganz individuell und ohne gesellschaftliche Vorgaben. Die Individualisierung der Gesellschaft hat inzwischen den Tod erreicht – es gibt weniger Tabus. Der neue Trend kommt mit dem Thema Aids aus der Schwulenbewegung – sie sagen: Wir wollen uns so verabschieden, wie wir gelebt haben, vielleicht etwas bunter als der Rest. Solche Gedanken kommen jetzt immer mehr im Mainstream an.
Neben ihrem aufreibenden Beruf hat Ellen Matzdorf noch eine weitere große Herausforderung zu bewältigen. Ihr Bruder Hannes ist unheilbar an der Nervenkrankheit ALS erkrankt. Die 59jährige hat im gemeinsamen Wohnhaus eine komplette Krankenstation für ihn eingerichtet – mit zwölf Pflegekräften, die rund um die Uhr für ihren Bruder da sind. Hannes war früher Zweiradmechaniker, er möchte mit einem Fahrrad zu Grabe gefahren werden. Auch das ist seit kurzem in Oldenburg möglich – dort gibt es jetzt Bestattungsfahrrad - konstruiert von Künstler Michael Olsen. Mit dem Rad hat er einen Nerv getroffen – bundesweit berichteten Medien über sein Projekt. Er ist darüber sehr froh, denn auch er will erreichen, dass der Tod wieder sichtbar wird und mehr in den Alltag zurückkehrt. Sogar im britischen Guardian war kürzlich zu lesen, wie die Deutschen neue Wege finden, über den Tod zu reden und mit ihm umzugehen.
Sie sei sehr erschrocken darüber, dass manche Witwen fragen würden, ob sie ihren toten Mann noch einmal anfassen dürften, sagt Ellen Matzdorf. Das sei doch selbstverständlich. Die Bestattungskultur müsse dringend reformiert werden - die angestaubten Rituale seien nicht mehr zeitgemäß. „Die Menschen möchten unverkrampfter mit dem Tod umgehen“, sagt Ellen Matzdorf. Dass sie die Menschen jetzt sowohl zu Beginn als Hebamme als auch zum Ende eines Lebens als Bestatterin begleiten darf, betrachtet sie als „große Ehre“. Nah bei den Gefühlen der Menschen in besonderen Situationen des Lebens. Ellen Matzdorf sagt: „Das ist der Lauf der Zeit. Für mich schließt sich damit ein Kreis.“
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