„So ein Tag!“ – aus Stadthagen
Zufallsbekanntschaften in Norddeutschland
„Komm`ich jetzt ganz groß raus?“, fragt Waltraud Faber, nachdem sie unser Team in der Innenstadt von Stadthagen entdeckt und angesprochen hat. Ja – sie kommt!! Und das zu Recht. Denn Waltraud Faber ist eine bemerkenswerte Person: Direkt, humorvoll, schlagfertig, offen und vor allem sehr authentisch! Das erste Gespräch mit Moderator Sven Tietzer dreht sich gleich um ein Tabuthema – um den den Tod: „Ich habe mir mein Grab schon bestellt. Bloß schnell weg!“, sagt die 77jährige Rentnerin. Lange leiden möchte sie später einmal nicht.
Aber noch gibt es dazu auch überhaupt keinen Anlass. Quicklebendig und voller Elan schleppt sie ihre beiden vollgepackten Einkaufstaschen durch die Fußgängerzone. Alle Bestrebungen des Moderators, ihr die schwere Last abzunehmen, lehnt sie vehement ab. So ist sie.
Und in Stadthagen kennt sie jeder. Waltraud Faber hatte hier früher einmal eine Kneipe – von 1963 bis 1978 stand sie in der „Alten Kanzlei“ hinter der Theke. „Das Lokal war jeden Abend voll. Es war eine schöne Zeit“, erinnert sie sich mit einem Lächeln. Später bekam Waltraud Faber einen Job als Angestellte im Krankenhaus. Zum Glück. Denn dadurch hat sie jetzt eine Rente, mit der es sich auskommen lässt.
Waltraud Faber lebt allein in ihrer kleinen Wohnung am Rande der Innenstadt. Sie hat drei Kinder, zwei Enkel und zwei Urenkel. Alle wohnen in der näheren Umgebung – sie sehen sich regelmäßig. Ihr erster Ehemann ist verstorben, von ihrem zweiten ist sie geschieden. Und diese Geschichte ist ein schwarzes Kapitel in ihrem Leben. Denn der Mann hat sich in ihrem Beisein in den Kopf geschossen und überlebt. „Ich könnte ein Buch schreiben“, sagt Waltraud Faber. Fünf Jahre ist das nun her.
Heute ist sie damit durch. Sie hat eine neue Aufgabe – einen neuen Lebensinhalt gefunden. Jeden Tag betreut sie den 89jährigen Karl Koller. Der war früher Drehorgelspieler in Stadthagen und ist seit einem Oberschenkelhalsbruch pflegebedürftig. Waltraud Faber hat ihren früheren Nachbarn aus dem Pflegeheim geholt. „Dort wäre ich krepiert“, sagt der gebrechliche Mann mit einem Lächeln. Jetzt ist er froh, dass Waltraud Faber ihn pflegt.
„Morgens helfe ich ihm beim Aufstehen, mittags bereite ich ihm ein Essen zu und abends bringe ich ihn wieder ins Bett“, sagt die rüstige Rentnerin – als wäre es das Normalste von der Welt. Die beiden können nicht ohne einander, aber oft auch nicht miteinander. „Wir pflaumen uns ständig gegenseitig an“, lacht Waltraud Faber. Aber lange böse sein kann keiner auf den anderen. „Sie wollte mich ja sogar einmal heiraten“, sagt Karl Koller. „Bist du verrückt! Das habe ich nie gesagt!“, wehrt sich die Rentnerin. Dann käme sie ja vom Regen in die Traufe.
Karl Koller war in Stadthagen und Umgebung bekannt wie ein bunter Hund. 100 000 Mark hat er einmal mit seinem Leierkasten für die Lebenshilfe eingespielt. Dafür bekam er eine Urkunde, die jetzt in seiner Wohnung hängt. Oft schwelgt er in Erinnerungen, aber die meisten Menschen haben ihn wohl schon vergessen. Würde Waltraud Faber nicht regelmäßig kommen, wäre er sehr einsam. Er hat nur eine Tochter. „Aber die kommt nicht mehr“, sagt der 89jährige traurig.
Nach dem Besuch bei Karl Koller und einer kurzen Stippvisite bei ihrer Vermieterin will Waltraud Faber unser Team unbedingt zum Essen einladen. „Wenn man den ganzen Tag hart arbeitet, muss man was zu essen haben“, sagt sie und nimmt den Moderator mit zum Schlachter. Drei Schnitzel und Speckkartoffelsalat soll es geben. Und alle Bestrebungen, dieses Essen selbst zu bezahlen, schlagen wieder fehl. Waltraud Faber lässt sich nichts sagen. Sie macht was sie will. Und gerade das macht sie so sympathisch!
Sehr geehrter Herr Tietzer,
ich habe gerade Ihre Sendung geschaut, in der Sie und Ihr Team Frau Faber
aus Stadthagen einen Tag begleiteten. Ein herzlicher Dank aus Ostfriesland
an Sie persönlich für Ihre tolle Moderation, ebenfalls ein Dank an Ihr Team
für die Aufnahmen und technische Begleitung.
Sie haben eine ganz besondere Art im Umgang mit den Menschen, die Sie
begleiten, befragen und wie Sie dann nett plaudernd durch Ihre - leider nur
sehr kurzen -Sendebeiträge führen. Es ist für mich immer ein Erlebnis,
Ihnen zuzusehen und Ihren Ausführungen zu folgen.
Es wäre für die Zuschauer ein Erlebnis, wenn Sie einmal einen
90-Minuten-Beitrag senden.
Weiterhin viel Erfolg, eine gute Gesundheit und das Ihnen viele so
interessante Einfälle kommen.
[…]
Herzliche Grüße aus Reepsholt in Ostfriesland.
Werner Herzog