Ostfrieslands Krabbenfischer
Kutter zwischen Tradition und Preisdruck
Ralf van Osten ist Krabbenfischer im kleinen Hafen Accumersiel in Ostfriesland.
Schon als Junge fuhr er bei seinem Onkel auf dem Kutter mit - der Krabbenfang ist sein Leben. 1988 hat Ralf sich selbständig gemacht. Der 43jährige kaufte damals den Kutter seines Chefs, als der sich ein kleineres Schiff anschaffte. Und er stellte seinen Kollegen Theo Immen als Decksmann ein. Seit Jahrzehnten sind die beiden Krabbenfischer ein eingespieltes Team.
Seine Garnelen liefert Ralf van Osten wie die meisten seiner Kollegen an die holländische Firma Heiploeg. Fünfmal pro Woche klappern die riesigen Kühl-Trucks der Firma die kleinen Kutterhäfen an der ostfriesischen Nordseeküste ab – ihr Ziel ist Zoutkamp bei Groningen. Dort hat das Unternehmen vor sechs Jahren die größte und modernste Garnelenfabrik Europas eröffnet. Etwa 60 000 Kilo Krabben pro Woche werden aus Niedersachsen angeliefert, das sind etwa 15 bis 20 Prozent – den Großteil bekommt Heiploeg aber von Kuttern aus Holland und Schleswig-Holstein. 18 Millionen Kilo Krabben laufen dort jedes Jahr über die Fließbänder.
Aber Zoutkamp ist nur eine Zwischenstation. Mindestens zwölf Tage sind die Krabben vom Fang bis in die Supermärkte unterwegs – mehr als 5 000 Kilometer mit dem Lkw quer durch Europa. Denn gepult werden die Krabben im fernen Marokko. Dort schälen 7 000 Frauen Tag für Tag die kleinen Schalentierchen – die Fabriken sind blitzsauber – die Frauen verhüllt. Gesprochen wird kaum – die Frauen arbeiten im Akkord – und die Arbeitsleistung wird über den Rhythmus der Musik gesteuert. Sind viele Krabben da – gibt es afrikanische Pop-Musik – sind es wenige – erklingen Balladen.
Über die Öko-Bilanz der langen Tour der Krabben spricht niemand – für den holländischen Großhändler geht es um die Wirtschaftlichkeit - hier geht es nur um die geringen Lohnkosten. 20 000 Kisten mit Krabben kommen jede Woche aus Holland und geben den afrikanischen Mädchen Arbeit. Sie bringen es auf durchschnittlich sechs Kilo Krabbenfleisch pro Tag. Manche ein bisschen weniger, andere schaffen bis zu zehn Kilo. Dafür verdienen sie einen Euro und zehn Cent das Kilo, so dass sie am Ende eines Monats zwischen 150 und 200 Euro haben. Und das ist viel Geld in Marokko. Denn das durchschnittliche Familieneinkommen liegt bei etwa 300 Euro – eine Mietwohnung kostet 30 Euro – ein Brot zehn Cent.
Diesen Preisdruck bekommen auch die Fischer in Ostfriesland zu spüren. Denn seit Jahren sind sie von den Niederländern abhängig. Anfang des Jahres 2005 sah es für Ralf van Osten und seine Kollegen sehr schlecht aus – die Preise für Krabben waren im Keller – die Zukunftsaussichten düster. Seit 1970 ist die Zahl der Kutter in Niedersachsen von 220 auf 140 gesunken. Alle waren sich einig: Dieser Trend muss gestoppt werden.
Und so nahmen sie ihr Schicksal selbst in die Hand. Die Krabbenfischer kämpften an allen Fronten. Mit vereinten Kräften ist es ihnen 2005 gelungen, eine Einigkeit mit dänischen und holländischen Fischern zu erzielen – sie vereinbarten eine Quote, so dass der Preis stimmte und alle zufrieden waren.
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