Die Bürger von Zytanien
Aussteiger in früherer Ziegelei veranstalten Festival
Auf der einen Seite die Autobahn 2 – auf der anderen die ICE-Strecke nach Berlin. Dazwischen liegt Zytanien – das Aussteigerdorf in einer alten Ziegelei bei Lehrte. Rote Backsteinbauten und kunterbunte Bauwagen bilden das Zentrum der früheren Hippie-Kommune, die 1986 gegründet wurde. Ein Bauunternehmer hatte damals versucht, sogenanntes Zytanit-Granulat zur Abkühlung von Kernreaktor-Brennstäben herzustellen. Das ehrgeizige Projekt scheiterte – die Besetzer blieben. Heute werden sie vom Eigentümer des Geländes geduldet – und zahlen eine monatliche Pacht.
Zwölf Menschen leben hier ihren Traum – sie wollen unabhängig sein und frei – sich abgrenzen von der Masse. Gegen Kommerz, Bürgerlichkeit und Fremdbestimmung. Viel Geld hat keiner, die meisten halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Und eine Kommune, eine große Familie mit sozialistischen Idealen, sind sie schon lange nicht mehr – jeder macht in Zytanien inzwischen sein eigenes Ding. Einmal im Jahr jedoch ist das anders. Dann packen alle mit an – denn dann steigt das legendäre Zytanien-Festival – und darauf sind sie alle stolz.
2500 Rockfans sollen in diesem Jahr kommen. Das bedeutet eine ganze Menge Arbeit für die Zytanier. Eine von ihnen ist Denise Müller. Sie ist im Nachbardorf groß geworden und hat schon als Kind auf dem Gelände gespielt. Heute lebt sie mit ihrem Freund, einem Motorrad-Schrauber, auf dem Ziegelei-Gelände. Denise hat hier den Überblick - sie hat ein wenig Ordnung in die Organisation gebracht – ist seit sechs Jahren dabei. „Früher musste man sich die Leute am Freitagnachmittag zusammensuchen“, erzählt sie. Das sei heute anders.
Von Anfang dabei ist Dippen. Er schläft im Sommer in seinem Bett auf der Bühne. Denn Dippen liebt seine Freiheit und ist viel unterwegs. Als Bühnentechniker war er sogar schon mit den Scorpions und Marius-Müller Westernhagen auf Tour. „Ein Einfamilienhaus, Nachbarn, Straße kehren – nein, das ist nichts für mich. Das bin ich nicht!“, sagt Dippen. Er ist 45 Jahre alt, hat zwei Kinder, die zeitweise auch in Zytanien groß geworden sind. Für Dippen ist das diesjährige Festival ein Besonderes. Denn er will weg von hier – nach Australien. Und dort ein neues Leben anfangen – nach 25 Jahren in Zytanien.
Das Festival steht in diesem Jahr aber anscheinend unter keinem guten Stern. Einen Tag vor der Anreise der Gäste schüttet es wie aus Kübeln. Der Campingplatz säuft ab – jetzt ist guter Rat teuer. Doch die Gemeinde hilft in der Not, so dass die Tradition des Zytanien-Festivals fortgesetzt werden kann. Finanziell sind die Zytanier noch mal mit einem blauen Auge davongekommen. Statt der angepeilten 2500 kamen nur etwas mehr als 1000 Gäste. Aber es reichte, um nicht allzu sehr ins Minus zu geraten. Denn nächstes Jahr brauchen die Einwohner von Zytanien das Geld. Dann feiert das legendäre Festival sein 25jähriges Jubiläum.
Hallo Johann!
Ich wollte Dir mal kurz berichten, daß unser Herr Dippen tatsächlich abgeflogen
ist. Am 11.10.2010 um 23.55 Uhr, hob der Flieger von Frankfurt gen Sidney ab.
[…]
Ruhig ist es hier jetzt geworden in Zytanien und der Winter steht vor der
Tür...
[…]
Die Resonanz auf den Film ist immer noch gewaltig. Ich werd immer wieder
angesprochen und gefragt, ob es eine Fortsetzung zum 25. Festival geben wird.
Ich hätte gar nicht gedacht, daß doch sooooo viele den Bericht angesehen haben.
Für mich hat das 25 Festival schon begonnen. Die ersten Anfragen und
Bandbewerbungen trudeln wieder ein und im Dezember werden wir uns das erste Mal
zusammensetzen und anfangen zu planen. Viel Geld haben wir ja nicht mehr zur
Verfügung, aber das bekommen wir schon irgendwie hin.
Im nächsten Jahr sind die Flächen gegenüber von Zytanien wieder mit Getreide
bepflanzt so daß wir einen größeren Acker als Campingplatz zur Verfügung stellen
können, wenn die Region mitspielt, und uns eine Ausnahmegenehmigung für das LSG
erteilt. Aber ich bin da ganz zuversichtlich, daß das klappt.
[…]
Viele liebe Grüße aus Zytanien und weiterhin alles Gute für Dich!
Denise