Als die Disco in den Norden kam
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Die Vorgänger der Discotheken in Deutschland waren die Jukeboxen. In vielen Gaststätten gehörten sie neben Flipper und Geldspielautomaten zum Inventar. Man warf eine Münze in den Schlitz, drückte einen Buchstaben und eine Zahl und sah dann durch eine Glasscheibe ins Innere des Kastens. Dort wurde die gewählte Schallplatte wie von Geisterhand von der Senkrechten in die Waagrechte gebracht, die Nadel aufgelegt und dann der Titel gespielt. In den USA wurde so schon in den 30er Jahren zu den Musikboxen getanzt. Erst viel später legten dann Menschen die Platten auf – das war dann die Geburtsstunde der Discjockeys.
Victoria Biesterfeld vom Museumsdorf Cloppenburg erforscht die Geschichten der Discotheken wissenschaftlich. Sie weiß: Über die USA und Frankreich kam die Disco dann irgendwann auch nach Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Menschen in Norddeutschland am Wochenende erstmal nur tanzen. In vielen Städten und Dörfern gab es damals Tanzlokale, in denen regelmäßig Kapellen und Bands auftraten. Irgendwann aber war Schluss damit – dann kam die Disco. Laut Wikipedia wurde mit dem „Ocambo Club“ die erste Discothek Deutschlands am 15. Mai 1959 in Osnabrück eröffnet. Mitte der 70er Jahre gab es allein im Nordwesten Niedersachsens mehr 140 verschiedene Discotheken. Fast in jedem Dorf wurde jetzt getanzt, wenn der DJ die Platten auflegte.
Eine dieser Discotheken war das „Alte Fehnhaus“ in Ostgroßefehn. Hiermit wagten Lüppo und Elli Wermerßen im Jahre 1975 den Sprung ins kalte Wasser. Lüppo gab seinen Job als Betriebsschlosser auf und wurde Disco-Betreiber. Ein Schritt, den er und seine Ehefrau nie bereut haben. Am Ende hatten sie insgesamt sechs Discotheken – überall in Ostfriesland – und 50 Mitarbeiter. Doch dann spielte das Fernsehen eine immer größere Rolle, erste Großraum-Discotheken öffneten – die Zeit der kleinen Dorfdisco ging dem Ende zu. „Wir wussten manchmal um Mitternacht noch nicht, ob der Laden noch voll wird“, sagte Lüppo Wermerßen. Irgendwann rechnete es sich nicht mehr.
So erging es auch Klaus und Gunda Sengstake aus Harpstedt, südwestlich von Bremen. Ihre Discothek „Sonnenstein“ stand lange leer, bis eines Tages eine Meldung die Runde machte, die beide nicht glauben konnten. „Ich dachte, es wäre der 1. April“, lacht Gunda Sengstake. Denn ihre Discothek sollte Stein für Stein abgebaut und im Museumsdorf Cloppenburg wieder aufgebaut werden – samt der kompletten Inneneinrichtung. Die Disco wurde zum Kulturgut erklärt – Victoria Biesterfeld und ihre Mitarbeiter befragten Discjockeys, Thekenpersonal und frühere Gäste als Zeitzeugen – denn die Ausstellung im Museum soll in der Zukunft möglichst genau an eine Zeit erinnern, als die jungen Leute sich mit Schlaghosen und Plateauschuhen auf einer Tanzfläche austobten, die nur von einer Spiegelkugel und drei Scheinwerfern beleuchtet war. Mit diesem Film wollen wir ein Stück niedersächsischer Kulturgeschichte erlebbar machen. Vor allem in den 70er und 80er Jahren gab es überall im Norden Discotheken – in fast jedem Dorf öffneten damals diese Tanzlokale.
Davor hatten dort hauptsächlich Bands und Kapellen gespielt. Sogar heutige Weltstars wie die Scorpions haben in diesen Clubs einmal angefangen. Lead-Sänger Klaus Meine erinnert sich noch gut an seinen ersten Auftritt „bei Meta am Deich“. Diese Discothek in Norddeich ist bereits 60 Jahre alt und damit eine der ältesten Läden in ganz Deutschland. Meta starb im Jahre 1994 an Krebs – im Alter von nur 59 Jahren. Sie war schon zu Lebzeiten eine Kultfigur – inzwischen gibt es über sie einige Bücher, Filme und sogar ein Musical.
Ihr Markenzeichen war der Einkaufswagen, mit dem sie durch gefüllte Discothek schob und den Gästen Flaschenbier und Softdrinks anbot. Da war sie knallhart. Wer nichts bestellte, der flog raus. Die Disco galt vor allem zu Anfang als heißeste Adresse zwischen Amsterdam und Hamburg. Zahlreiche Bands aus England traten bei Meta auf. Sie setzte Trends in der tiefsten Provinz Ostfriesland. Klaus Meine: „Sie hat sehr früh erkannt, dass in Hamburg im Starclub viele richtig hammermäßige Gruppen aus England spielen, Monat für Monat, und sie hat dann diese Bands da oben an den Deich geholt, nach Norddeich. Und das hat sich herumgesprochen.“
Heute gibt es die Disco immer noch – und es wurde innen drin sehr wenig verändert. Betreiber ist jetzt Metas Sohn Sven Rogall. Er hat schon als kleiner Junge in der Discothek hinter der Theke ausgeholfen – wurde später Discjockey. Und auch an die Stars, die in Norddeich aufgetreten sind, kann er sich noch erinnern. Beispielsweise an den Südafrikaner, der die gepulten Krabben in der Küche für „Würmer“ hielt. Das was Howard Carpendale, der bei Meta seinen zweiten Auftritt auf deutschem Boden hatte. Besonders spannend: Bei Meta hat Howard Carpendale seine Karriere begonnen – sie hat ihm damals eine Arbeitserlaubnis besorgt. Carpendale heute: „Ohne Meta wäre ich wahrscheinlich nicht hier.“
Und auch Otto Waalkes hat mit seiner Band „The Rustlers“ in Norddeich gespielt. Er blickt sehr gerne auf diese Anfangszeit in seiner ostfriesischen Heimat zurück: „Dort gab´s immer etwas umsonst zu trinken, das weiß ich noch. Ich hab nie bezahlt, ich hatte ja kein Geld, wie sollte ich auch.“ Er war damals 14 Jahre alt und spielte Gitarre. Noch heute hat er Kontakt zu seinen damaligen Band-Mitgliedern. Es war der Anfang einer langen erfolgreichen Karriere als Musiker und Komiker.
Auch der „Hyde Park“ in Osnabrück hat eine lange, wechselvolle Geschichte. Conny Overbeck betreibt den Laden seit über 40 Jahren. Schlagzeilen machte die Disco im Jahre 1983. Als sie geschlossen werden sollte, gab es tagelang Ausschreitungen zwischen Punks und Polizei. Zeitzeugen von damals erinnern sich an die Krawalle von Osnabrück – als dort die Straßen brannten. Harald Preuin war damals Lokalreporter der Neuen Osnabrücker Zeitung. Er hatte einen Motorradhelm in der Hand und wurde wohl für einen Demonstranten gehalten. Der Schlagstock eines Polizisten traf ihn an der Schulter. Die Ausschreitungen wurden damals sogar in der Tagesschau gemeldet.
Und dann sind da noch die „Wattwerker“ im ostfriesischen Aurich. Uwe Penske und seine Kollegen halten die Erinnerungen an die gute, alte Discozeit wach. Zusammen mit seiner Gruppe „Die Wattwerker“ hat er eine Liste mit über 5 000 progressiven Musiktiteln ins Netz gestellt. Alle 14 Tage gibt es dazu eine Live-Sendung bei „Radio Wattwerker“ – meist mit Talkgästen aus vergangenen Tagen. Einer davon ist Rio de Luca aus Wittmund. Seine Disco sieht noch genauso aus wie vor 50 Jahren – und er steht immer noch als DJ am Mischpult – mit 74 Jahren.
Gedreht wurde die Dokumentation im Sommer/Herbst 2019 in Norddeich, Aurich, Wittmund, Harpstedt, Cloppenburg, Wedemark und Osnabrück – vor Ausbruch der Corona-Pandemie.
Gefördert mit Mitteln der nordmedia - Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen mbH.
Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung und für die historischen Foto- und Videoaufnahmen bei:
Sven Rogall, Norddeich (diverse Fotos von Meta)
Uwe Penske, Aurich (Fotos „Old Inn“ Aurich)
Klaus Meine, Wedemark (Fotos Scorpions)
Karl-Friedrich Zürn, Hamburg (Fotos Otto Waalkes/The Rustlers)
Rainer Ehricke, Köln (Fotos Hyde-Park)
Rio de Luca, Wittmund (Fotos „Whiskey“)
Museumsdorf Cloppenburg / Christoph Heinzel, (Foto Abtransport)
Hans Willms, Weyhe (Fotos Meta)
Medienzentrum Norden, Günther Wrobel (Fotos Meta Norddeich)
Lukas Einhaus, Friesoythe (Fotos Rio de Luca)
Matthias Schiminski / Werner Nierychlo, Hildesheim/Osnabrück (Amateur-Video Krawalle Hyde-Park)
Christa Stuckenberg, Oldenburg (Schwarz-Weiß Video Tanzende)
Ingo Hochartz, Bad Zwischenahn (Video Tanzaufnahmen)
Robert Günther, Norderstedt (Foto Starclub)
Hajo Wilken, Jesewitz (Radio-Interview Meta)
Klaus Lindemann, Bramsche (Foto Hyde-Park)
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